HOME   BIOGRAFIE   BIBLIOGRAFIE   COVER GALLERY   REZENSIONEN   ZELLULOID   FEATURES   LINKS   KONSUM
 
GESCHAFFT. DAS FORUM VON PHILIPKDICK.DE IST ENDLICH ONLINE!
 

Menschlicher als menschlich
Von Christian Gaca | März 2002

Künstliche Menschen wie in BLADE RUNNER stehen auf der Wunschliste von Forschern. Erdacht haben diese Visionen Autoren wie Philip K. Dick - der sogar so einige US-Präsidenten für Replikanten hielt.

Wissenschaft und Literatur gehen schon seit jeher eine fruchtbare Verbindung ein. Kein Wunder, dass auch die Vordenker-Autoren aus der Science Fiction Wissenschaftler immer wieder zur Umsetzung oft kruder und unmöglich erscheinender Ideen beflügelten - und dies bis heute noch tun. Einer dieser Ideen-Lieferanten ist der 1928 geborene und 1982 verstorbene amerikanische Autor Philip K. Dick. Ein Wandler zwischen Welten und Realitäten, der sich schon seit den 50er Jahren intensiv mit "Gentechnik" und humanoiden Robotern beschäftigte. Dick lieferte zudem die Romanvorlage zu einem der Kino-Science-Fiction-Klassiker, der Geschichte des Androiden-Jägers Rick Deckard, 1982 von Ridley Scott als BLADE RUNNER verfilmt. Die Romanvorlage von Dick erschien 1968 in den USA unter dem Titel "Do Androids Dream of Electric Sheep?", 1969 in Deutschland als "Träumen Androiden von elektrischen Schafen?".

Dick zeichnet dort ein düsteres Bild von der Wirklichkeit des zukünftigen Amerikas. Atomkriege haben die Menschheit gebeutelt, Mond und Mars sind besiedelt und neben den Menschen existieren Androiden verschiedener Typen - primär um den Menschen das Leben in den Mond- und Marskolonien zu erleichtern. Die von der Tyrell Corporation gefertigten Androiden - auch Replikanten genannt - bestehen aus künstlichen Organen, sind relaisgesteuert und haben im Prinzip keinen eigenen Willen. Die Gentechnik hatte Erfolg, die Androiden sind perfekte Sklaven des Menschen; willenlose Erfüllungsgehilfen, manchmal in Form von künstlichen Haustieren auch reiner Zeitvertreib. Die neueste Androiden-Generation NEXUS 6 ist fast perfektioniert. NEXUS 6 lässt sich nur noch durch spezielle Lügendetektoren vom Menschen unterscheiden, emotionale Reaktionen auf extreme Situation enttarnen sie.

Dieses ,Krankheits-Relais’ hatte er schon immer bestaunt. Die Konstruktion war so gebaut, dass das ganze Ding nicht kaputt, sondern organisch krank wirkte, sobald irgendwo eine Kleinigkeit nicht funktionierte.

So beschreibt Dick die Verwunderung John Isidores’, der kaputte Androiden-Tiere in die Tierklinik fährt. Das Schema der Wissenschaftler ist klar: menschlicher als menschlich, tierischer als tierisch.

Tiere sind übrigens ein spezielles Thema in Dicks Roman. Viele Arten sind ausgestorben und nur noch als Reproduktion erhältlich. Deshalb ist es für jede Familie oder Privatperson von gesellschaftlicher Bedeutung, ein echtes Tier zu besitzen. Je seltener das Tier ist, desto höher das Ansehen. Für besondere Tiere werden astronomisch hohe Summen verlangt. Während eine Maus schon für wenige Dollar erhältlich ist, werden für ein Pferd oder eine Schaf mehrere Tausend Dollar bezahlt.

Menschlicher als menschlich - dieses Prinzip führt zwangsläufig zu Problemen. Die Androiden streben zurück zur Erde, was die Erden-Polizei natürlich unbedingt verhindern will. Das Hilfsmittel: Androiden-Jäger wie Rick Deckard, die Blade Runner genannt werden. Ihre Aufgabe: geflüchtete Androiden enttarnen und eliminieren. Doch das ist nicht immer einfach und wird schwieriger, denn: Androiden der Nachfolge-Generation von NEXUS 6 ist nicht einmal mehr bewusst, dass sie Androiden sind. Dick lässt die Grenze zwischen Mensch und Maschine völlig verschwimmen. So ist am Ende des Buches nicht einmal mehr klar, ob Blade Runner Deckard nicht womöglich selbst ein Androide ist.

Phil Resch fragte: 'Auf welcher Grundlage beruht ihr Voigt-Kampff-Test, Mr. Deckard?' 'Auf Gefühlreaktionen, in verschiedenen Lebenssituationen, die hauptsächlich mit Tieren zu tun haben.' 'Unser Verfahren ist vermutlich einfacher', antwortete Resch. 'Der Bogenreflex in den oberen Ganglien des Rückgrats dauert bei einem humanoiden Roboter einige Mikrosekunden länger als im menschlichen Nervensystem. (...) Ich predige schon seit Jahren, dass der Bogenreflex-Test nach Boneli regelmäßig bei allen Polizeibeamten angewandt werden sollte.'

Dick spielt mit dem Wahn der Menschen, ihre eigene Rasse vor dem schützen zu müssen, was sie selbst entwickelt haben. Doch das Meisterstück dieses Romans - und im Prinzip vieler anderer Dick-Romane - ist die Frage nach der Realität, gerade auch im Zusammenhang mit Gentechnik. Was ist echt, was falsch? Wer ist echt, wer ist falsch? Bin ich selbst überhaupt echt, kann ich das überhaupt zweifelsfrei einordnen? Diese Fragen stellen sich bei Dick zudem nicht nur die Menschen, sondern oft auch die Maschinen. Und selbst die These, dass in "Do Androids Dream of Electric Sheep?" am Ende die Androiden im Prinzip menschlicher handeln als die Menschen selbst, ließe sich aufstellen. Wobei Dick hier wieder einen Strich durch die vermeintlich logische Rechnung macht, denn es ist ja in einigen Fällen unklar, wer Androide ist und wer Mensch.

Diese Frage beschäftigt Philip K. Dick auch in anderen Weg weisenden Werken, so etwa im 1964 erschienenen Roman "The Simulacra". Dort stellt Dick die These auf, dass die Vereinigten Staaten seit über 100 Jahren von ein und derselben Frau regiert werden. Die jeweilig gewählten Präsidenten erfüllen nur die Funktion eines öffentlichen Repräsentanten, sind aber nur geschickt programmierte Simulacra - schlicht humanoide Roboter. Und angesichts der letzten US-Präsidentenwahl und deren Gewinner George W. Bush jun. darf getrost gerätselt werden, ob Dick nicht vielleicht näher an der Wahrheit liegt als gemeinhin vermutet?

Und nun? Wird die Vision von Philip K. Dick Wirklichkeit werden? Gibt es Wissenschaftler, die an perfekten Androiden arbeiten? Die Antwort muss "Ja" lauten. Denn: Was etwa ist mit dem possierlichen Roboter-Hund Aibo, den Sony 2001 auf den Markt brachte? Nur ein teurer Anfang, aber die Weichen sind gestellt. Und was ist mit dem Artikel des New-York-Times Online-Dienstes vom 28. Oktober 1999? Dort philosophiert ein Unternehmenssprecher des Softdrinkherstellers Coca Cola über die Möglichkeit, einen Getränkeautomaten zu bauen, der automatisch die Preise in die Höhe treibt, wenn die Temperatur steigt - eine Idee, die Dick in seinem Roman "UBIK" ähnlich ausbaute.

Was bleibt nun noch zu sagen? Die Zukunft wird bestimmt lustig. Und jetzt soll Philip K. Dick abschließend posthum zu Wort kommen: "Gibt es irgendeinen Ausweg?"

»» zurück zur Feature-Übersicht

 

    © 2004  FÜR EIGENE TEXTE + GRAFIK  CHRISTIAN GACA  |  ANREGUNGEN:    |  DISCLAIMER